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Bei der Anreise am Freitag ist das Wetter typisch englisch: tief hängende Wolken und Dauerregen verwehren jeden Blick
auf die Schönheiten der Natur im Nationalpark.
Auch am Samstag Morgen hat sich das Bild nicht verändert: nach wie vor prasselt der Regen auf das Busdach, das Verlassen des warmen
Schlafsacks fällt schwer. Die 100 Meilen-Starter sind nun seit 12 Stunden unterwegs, die letzte Nacht muss für sie eine Tortur
gewesen sein!
Frühstück im Bus: Müsli, Joghurt, Apfelmus, Nudelsuppe – jetzt noch so viel Energie zuführen wie möglich – ich werde sie später
brauchen.
12.00 Uhr Start für das 50 Meilen Rennen
Gemeinsam mit 180 weiteren „Läufern“ setzen wir uns in Bewegung. Auf den ersten Metern zieht sich das Feld direkt etwas auseinander,
einige sprinten davon, als ginge es nur bis ins nächste Dorf. Wir gehen es langsam an und schlagen ein schnelles Geh-Tempo ein.
Damit sind wir auf diesen ersten Metern so ziemlich die letzten im Feld. Macht nichts – wir sind uns sicher, dass wir ganz viele
von denen vor uns früher oder später wieder sehen!
Noch 5 Minuten bis zum Start
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Zu diesem frühen Zeitpunkt im Rennen ist der Sichtkontakt zu anderen Läufern ohnehin ständig vorhanden.
Mittlerweile hat sich das Wetter etwas verbessert, die Sonne schaut sogar durch einige Wolkenlücken hindurch und
die Hügel und Berge um uns herum sind gut zu erkennen. Somit auch der Routenverlauf: denn blickt man nach vorne,
erkennt man eine lange Schlange von Läufern mit leuchtend weißen Startnummern am Rucksack. Orientierung leicht gemacht!

Der Routenverlauf ist klar - immer hinterher
15.00 Uhr
Der erste von 6 Kontrollpunkten liegt hinter uns: an diesen Checkpoints wird die Zwischenzeit erfasst, es gibt etwas
zu essen und zu trinken und dazu ein bisschen Aufmunterung von den freiwilligen Helfern. Unsere Renntaktik: schnelles
Gehen bergauf, Laufen bergab und ein Mix aus Gehen und Traben auf den (wenigen) flachen Passagen geht gut auf. Wir kommen
gut voran und überholen kontinuierlich andere Teilnehmer, darunter natürlich auch solche, die mittlerweile seit über
20 Stunden auf der 100 Meilen-Distanz unterwegs sind.
Das Wetter ist ganz klar auf unserer Seite: es ist trocken, jedoch nicht zu heiß, und der Mix aus Sonne und Wolken macht
die Blicke über die Seen im Lake District noch reizvoller.
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Das Wetter spielt mit - Laufen bei Sonnenschein

Hügel soweit das Auge reicht und unser Weg führt meist obendrüber

22.00 Uhr
Die lange Etappe seit dem letzten Stopp hat es in sich, etliche Anstiege und Höhenmeter sind auf diesem Stück zu bewältigen.
Nun wird es dunkel und mit Einbrechen der Dunkelheit fängt es zu allem Überfluss auch noch an zu regnen. Oje! Mit den
Stirnlampen packen wir also auch die Regenjacken aus den Rucksäcken. Dafür ist es bis zum nächsten Kontrollpunkt nun
nicht mehr sooo weit und Tim’s Geschichten von Rennen in der Wüste bis hin zu zermürbenden Läufen entlang endlos langer
gerader flacher Straßen lassen unsere Unternehmung noch richtig angenehm erscheinen.
Der Checkpoint in Ambleside ist in einem Outdoor-Laden untergebracht: als wir dort wenig später einlaufen, erwartet uns
wieder Partystimmung. Live-Musik, viele Leute, die hier die ganze Nacht lang die eintreffenden Läufer feiern und motivieren,
Getränke, Obst, Süßigkeiten und Salziges. Es wäre super, länger zu bleiben, um die Atmosphäre zu genießen, doch wir
müssen/wollen weiter!
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Eingeholt und drangehängt - kleine Verschnaufpause im Windschatten

Die Nacht rückt näher und wir sind noch lange nicht am Ziel
20.00 Uhr
Halbzeit! Wir kommen am dritten Checkpoint an: bis hierhin haben wir 40 km und gut 1500 Höhenmeter ohne
Schwierigkeiten bewältigt. Als erstes den Zeitnehmern die Startnummer genannt, damit unser Rennverlauf auch bestens
protokolliert ist, dann heißt es die Energiereserven wieder aufzufüllen. Dieser Kontrollpunkt hat Partycharakter:
bunte Lampions, Musik, dazu ein Buffet, das zum Verweilen einlädt. Es gibt Suppe und Nudeln, Milchreis und Fruchtshakes,
Kaffe, Tee und verschiedene Kuchen… Zum ersten Mal seit unserem Start heute Mittag setzen wir uns hin: das warme Essen ist
noch besser, wenn man es nicht im Stehen hinunterschlingt. Doch nach weniger als 20 Minuten sind wir wieder auf den Füßen:
weiter geht’s. Bisher waren wir zu zweit unterwegs, am Checkpoint schließt sich uns ein weiterer Läufer an und so sind wir
nun zu dritt. Tim ist, wie sich später herausstellen wird, ein Mann mit Erfahrung bei über 30 Long Distance Rennen auf der
ganzen Welt.
Parystimmung am Checkpoint

Meine armen Füße nach 15 Stunden im Nassen
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3.00 Uhr morgens
Es ist rabenschwarz, regnet immer noch in Strömen und wir haben mal wieder den Weg verloren. In der Nähe eines Bauernhofes
stapfen wir durch sumpfige Viehwiesen in dem verzweifelten Bemühen, der Routenbeschreibung zu folgen, die scheinbar
irgendjemand tagsüber bei Sonnenschein und bester Sicht gemacht hat. Wir können „den schwer erkennbaren Pfad über
die Wiesen bis zum Erreichen des sich weit oberhalb abzeichnenden guten Weges“ beim besten Willen nicht finden.
Schlafende Schafe, Zäune, Wasserläufe, die sich dank des Dauerregens zu Gebirgsbächen entwickelt haben und zäher
Sumpf sind die Hindernisse, mit denen wir nun kämpfen. Ganz zu schweigen davon, dass meine seit Stunden nassen Füße
und Schuhe sich anfühlen, als wären sie jeweils mehrere Kilogramm schwer. Wenn ich stehen bleibe, um auf die Karte
zu schauen, wird mir direkt kalt; ich bin müde und ob der Schwierigkeiten mit dieser nutzlosen Routenbeschreibung
zunehmend schlecht gelaunt.
Die Rettung ist schließlich das Auftauchen eines Teilnehmers, den wir vor langer Zeit überholt haben. Na toll, die Mühe,
ihn abzuhängen hat sich ja richtig gelohnt! Doch er hat ein GPS-Gerät, das ihm (und nun auch uns zeigt), dass wir uns
irgendwo weiter oben am Berg befinden sollten. Gemeinsam kämpfen wir uns in Richtung Weg, den wir auch weiterhin nicht
finden. Doch schließlich stoßen wir auf einen quer zu unserer bisherigen Gehrichtung verlaufenden Pfad, dem wir laut
Routenbeschreibung im zickzack steil bergauf folgen sollen.
Zumindest sind wir nun die Sorge los, dass wir uns im weglosen Gelände völlig verirren.
5.30 Uhr morgens
Die letzten 2½ Stunden habe ich damit verbracht, mich selber und meine komischen Ideen ausgiebig zu verfluchen.
„Laufen als Sportart fand ich doch schon immer doof!“ und „Ich bin noch nie zuvor einen Marathon oder Halbmarathon
gelaufen, was mache ich also hier?“ sind die Gedanken, die mich begleiten, während ich mich bemühe, das Tempo meiner
beiden Mitstreiter beizubehalten. Ich wünsche mein Bett herbei, meine Füße tun so weh, dass ich mich am liebsten auf
der Stelle hinlegen würde,…. doch der letzte Checkpoint liegt hinter uns und der einzige Weg in meinem Schlafsack führt
über den Weg vor mir. Wie ein Mantra murmele ich „immer einen Fuß vor den anderen setzen“ vor mich hin, während meine
Füße widerwillig genau dieses tun. Der letzte Aufstieg noch im Dunkeln war steil und hart (ich wette, die „fiesen
Organisatoren“ haben das extra so gewählt), doch dieser allerletzte Abstieg, auf dem ich mich nun befinde, ist die Hölle.
Es ist zwar nun wieder hell, was den Vorteil hat, dass man genau sieht, wie steil und steinig der Weg ist, doch mit
jedem Schritt könnte ich vor Schmerz heulen oder schreien. Da meine beiden Mitläufer mittlerweile ein Stück voraus sind,
tue ich auch letzteres ab und zu – es hört mich ja keiner!
Endlich, endlich ist das Ende in Sicht: der Weg führt in den kleinen Ort Coniston, wo uns einige gut gelaunte,
sonntägliche Frühaufsteher zuwinken. Die Kraft reicht zu einem freundlichen Nicken, dann schlurfe und stolpere
ich weiter in Richtung Ziel. Nach fast genau 18 Stunden ist es geschafft: 50 Meilen und 3000 Höhenmeter habe ich zurückgelegt!
 Es ist geschafft - nach 18 Stunden
In einem kurzen Moment der Freude sind alle Schmerzen vergessen…. dann sind sie wieder da und ich will nur noch schnell
unter die Dusche und dann ins Bett.

Happy, müde und kaputt
Als wenige Stunden später die Siegerehrung stattfindet, erfahren wir, das der Sieger über die 50 Meilen Distanz nach
8 Stunden 29 Minuten im Ziel war! Eine unglaubliche Leistung!
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